Kurzgefasste Chronik
der Kantorei der Evangelischen Luthergemeinde Offenbach
(Verfasser: Karl Hainer)

Die Kantorei der Luthergemeinde ist aus den Kirchenchören an der Offenbacher Lutherkirche hervorgegangen.

Vorgeschichte
Beim Bau der Lutherkirche im Jahr 1914 bestand Offenbach noch aus einer einzigen evangelischen Kirchengemeinde mit mehreren Predigtstätten und Gemeindebezirken. Dementsprechend hatte diese Gesamtgemeinde einen gemeinsamen Chor. Erst nach der Aufteilung in selbständige Gemeinden im Jahr 1920 entwikkelten sich dann allmählich in den Gemeinden eigene Chöre.

So wurde im August 1921 durch Pfarrer Oeckinghaus der gemischte Chor der Luthergemeinde Südost gegründet. Bereits nach kurzer Zeit war dieser Chor auf über 100 Sängerinnen und Sänger angewachsen. Chorleiter war zuerst der Lehrer Georg Kammer, danach der Lehrer E. Reinhardt aus Offenbach-Bürgel, zu dessen Schülern auch Paul Hindemith gehört hatte.

Ähnlich wie in der Luthergemeinde Südost erfolgte im Januar 1922 in der Luthergemeinde Süd auf Anregung ihres Pfarrers Fuldat die Gründung eines gemischten Chores. Auch dieser Chor wuchs während der ersten beiden Wochen bereits auf 50 bzw. 70 Mitglieder an und hatte danach ebenfalls über 100 Sängerinnen und Sänger. Chorleiter waren hier der Lehrer Heineck (1922–1927) sowie anschließend Herr Adrian (1928–1939).

Die Chöre übernahmen die Aufgabe, die Gottesdienste ihrer jeweiligen Gemeinde mit zu gestalten; dazu dienten Choralsätze, die teilweise im Wechsel mit der Gemeinde gesungen wurden, sowie auch einzelne liturgische Gesänge im Gottesdienstablauf. Darüber hinaus traten die Chöre in weiteren Gemeindeveranstaltungen auf.

Im Januar 1939 stellte dann der Süd-Chor seine Tätigkeit ein; der Chor hatte nur noch 22 Mitglieder besessen, insbesondere die politischen Verhältnisse trugen dazu bei, und Pfarrer Bürstlein von der Luthergemeinde Süd hatte erklärt, dass die Gemeinde keinen Zuschuss mehr zur Chorarbeit leisten könne. In den folgenden Jahren musste, kriegsbedingt, auch der Chor der Südost-Gemeinde sein Wirken einstellen.

Bereits Ende 1945/Anfang 1946 lebte der Südost-Chor wieder auf – unter der Leitung verschiedener Dirigenten, schließlich unter Kantor Lutz-Dieter Obst. Der Süd-Chor konnte dagegen erst im April 1947 wiedergegründet werden, und er wurde zuerst durch den Opernsänger Friedrich Fließen geleitet, dann durch die Lehrer Adolf Kolbacher (1950–1953) und Waldemar Bock (1953–1956).

Beide Chöre waren weiterhin auf das gottesdienstliche Singen in ihrer eigenen Gemeinde orientiert, in strikter Abgrenzung zu anderen und insbesondere zur Schwestergemeinde.

Ab 1956: Kantorei
Mit der Neu-Einteilung der Bezirke der Offenbacher evangelischen Gemeinden im Jahr 1956 entstand die jetzige Luthergemeinde, und seitdem gibt es in der Lutherkirche nur noch eine einzige Gemeinde und einen einzigen Chor mit einem Kantor als Chorleiter. Diese waren Kurt Altmann (1957–1958), Jan Daube (1959–1960), Kurt Kosel (1961–1968), Wolfgang Weyrich (1968–2000), Matthias Querbach (2000-2003) und Tobias Koriath seit 2004.

Auch wenn sich Zusammensetzung und musikalische Orientierung des Chores im Laufe der Zeit änderten, so wirkte er doch regelmäßig bei der Ausgestaltung der Gottesdienste während des Kirchenjahres mit

  • immer in der Christmette am Heiligen Abend und im Gottesdienst des zweiten Weihnachtsfeiertages,
  • häufig an Karfreitag, Ostern, Sonntag Kantate, Himmelfahrt, Pfingsten, Sonntag Trinitatis, Konfirmation, Gemeindefest, Erntedankfest, Reformationsfest, Ewigkeitssonntag, an einem Adventssonntag sowie zu weiteren Gelegenheiten und Anlässen.
  • Manchmal wurde auch außerhalb der Lutherkirche gesungen, etwa im Sommer im Altenheim, bei Friedhofsfeiern am Ewigkeitssonntag, beim Adventssingen im Rathaus oder im Krankenhaus.

In den Gottesdiensten werden unterschiedliche Chorwerke wie Choralsätze und Motetten aufgeführt, gelegentlich auch Kantaten.
Hinzu traten seit den 1960er Jahren geistliche Abendmusiken und musikalische Vespern.

Eine eigene Tradition kirchenmusikalischer Veranstaltungen prägte sich ab den 1970er Jahren aus, die mit der Aufführung der Markus–Passion von Reinhard Keiser (1674–1739) am Karfreitag 1970 begann. Am 15. Januar 1972 wurde anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Chores ein Kirchenkonzert in der Lutherkirche veranstaltet mit Gloria und Magnificat Ossecensis von Vivaldi.
Seitdem folgten Kirchenkonzerte mit Kantaten sowie vermehrt größere Chorwerke, die zum Teil mit befreundeten Chören gemeinsam aufgeführt wurden; dies waren in den 1980er Jahren die Kantorei der Lutherkirche Rüsselsheim und seitdem die Evangelische Kantorei Heusenstamm sowie insbesondere der Offenbacher Kammerchor.
Mit der Erweiterung der Aufgabenstellung des Chors ging eine Ausdehnung des Einzugsbereichs weit über die Grenzen des eigentlichen Gemeindebezirks einher – sowohl hinsichtlich des Zuhörerkreises bei Konzerten wie auch hinsichtlich der Chormitglieder.

Aufführung größerer Werke

Bach: Weihnachtsoratorium (1980, 1982, 1985, 1991, 1998, 2007),
Matthäus-Passion (1990), Johannes-Passion (1992, 1999),
Lukas-Passion BWV 246 (1993, 1995)
Beethoven: Messe C-Dur (1991, 2007)
Brahms: Deutsches Requiem (1994, 1997)
Fasch: Passio Jesu Christi (2005)
Gounod: Requiem (2007)
Graupner: Magnificat (2003)
Joseph Haydn: Theresienmesse (1974, 1976), Die Schöpfung (1988, 1991)
Michael Haydn: Te Deum (1994)
Herzogenberg: Weihnachtsoratorium (1999)
Janacek: Messe in D-Dur (2000)
Keiser: Markus-Passion (1970, 1971, 1984)
Lortzing: Die Himmelfahrt Jesu (2006)
Mendelssohn-Bartholdy: Elias (1993)
Mozart: Krönungsmesse (1984), Messe B-Dur (2003)
Rheinberger: Requiem (2001)
Rossini: Petite Messe Solenelle (1996, 2000)
Salieri: Messe D-Dur (2004)
Schubert: Messe G-Dur (1978)
Schütz: Johannes-Passion (1987, 1996), Musikalische Exequien (1998)
Selle: Johannes-Passion (1977)
Telemann: Matthäus-Passion 1730 (1973, 1974, 1989)
Verne: Messe (2004)
Vivaldi: Magnificat Ossecensis (1972), Gloria (1972, 2002), Magnificat (2002)
Vorisek: Missa solemnis (2006)

Heute
Seit der Amtsübernahme von Tobias Koriath 2004 entwickelte sich eine verstärkte Kooperation mit dem Offenbacher Kammerchor. Das gesamte Jahr 2007 sangen beide Chöre in Proben und Auftritten nur noch gemeinsam, und sie konzipieren nun als „Offenbacher Kantorei“ eine gemeinsame Zukunft, sowohl als Chor in den Gottesdiensten der Luthergemeinde wie auch als Konzertchor des Evangelischen Dekanats Offenbach.

Wolfgang Weyrich schrieb 1997 zum 75–jährigen Bestehen der Kantorei im Gemeindebrief der Luthergemeinde:
Die Zusammensetzung des Chores hat sich gewandelt, und aus den großen, etwas unbeweglichen Chören der ersten Gründungszeit wurde eine bewegliche, rasch auffassende kleinere Gruppe, in der sich Jugendliche, junge Erwachsene, „Mittelalterliche“ und Senioren und Seniorinnen neben- und miteinander wohlfühlen können. Gewiss haben sich auch musikalische Orientierungen mit den Zeitströmungen und auch mit den verschiedenen Chorleitern gewandelt. Zentrales Anliegen war jedoch allezeit die Ausgestaltung der Gottesdienste in unserer Lutherkirche. Und wenn über diesen gottesdienstlichen Auftrag hinaus vielleicht in früheren Jahren das eine oder andere mehr gepflegt wurde, heute mehr dieses oder jenes, so hatte und hat doch stets alles einen gemeinsamen Nenner: vor der Gemeinde und auch vor den Menschen in unserem weiteren Umfeld unter der Musik das Lob Gottes erklingen zu lassen.

– also kurz: Soli Deo Gloria

Quellen:

  • Festschrift 75 Jahre Lutherkirche 1914–1989
  • Friedrich Eckert: „Kirchenchor der Luthergemeinde feierte 50jähriges Bestehen“, in: Kirchenbote für das evangelische Offenbach, 6. Februar 1972
  • Gemeindebriefe der Luthergemeinde 1978–2007
  • Chor-Akten